vonKevin Tesch, Nina Sahling & Robin SchmitzinAgilität

In diesem Artikel wollen wir aufzeigen, wie Gamification nicht nur unseren Arbeitsalltag im Scrum-Team verbessert hat, sondern auch für mehr Motivation und Spaß am täglichen Tun sorgt. Wir erläutern hierfür zunächst, was genau unter Gamification verstanden wird und wie der bisherige Einsatz in der Software-Entwicklung erfolgt. Wir erklären, welche Elemente den Teamgeist spielerisch fördern, wie wir Anreize schaffen können und für welche Tätigkeiten diese überhaupt benötigt werden. Darüber hinaus erklären wir, welche Vorteile wir im Einsatz von Gamification sehen und stellen dann den konkreten Einsatz in einem unserer Scrum-Teams vor. Abschließend beschreiben wir, welchen Mehrwert das Team, aber auch jede:r einzelne in unserem konkreten Anwendungsfall hat.

Teil 1: Behind the scenes – auch Theorie muss sein

Grundlagen Scrum

Wer sich hierzu informieren möchte, findet zahlreiche Artikel, z. B. Was ist Scrum? (it-agile.de) oder auch Was ist Srum? – Tipps für den Einstieg (atlassian.com).

Grundlagen Gamification

Der Begriff „Gamification“ (zu dem es keine geeignete deutsche Übersetzung gibt) stammt aus dem Englischen (Game = Spiel). Damit gemeint ist die Anwendung von typischen Spielelementen in einem spielfremden Kontext. Zu den Spielelementen gehören z. B. Erfahrungspunkte, Highscores, Fortschrittsbalken, aber auch virtuelle Güter. Dem Einsatz von spielerischen Elementen liegt zugrunde, dass laut aktueller Forschung jeder Mensch gerne spielt und von Natur aus das Bedürfnis hat, das eigene Können zu verbessern und Neues zu lernen.

Ziel von Gamification

Das ursprüngliche Ziel von Gamification ist, durch den Einsatz spielerischer Elemente eine Motivationssteigerung bei den teilnehmenden Personen zu erzielen, die vorrangig langweilige bzw. eintönige Aufgaben zu erfüllen haben oder komplexe Probleme lösen müssen. Es gibt mittlerweile zahlreiche Beispiele, bei denen mithilfe von Gamification eine signifikante Steigerung der Benutzermotivation, des Lernerfolgs oder auch der Kundenbindung erzielt werden konnte.

Der Einsatz von Gamification nimmt seit Jahren branchenübergreifend zu. Neben der internen Nutzung in Unternehmen (z. B. zur Mitarbeiterbindung oder in Workshops) gibt es auch zunehmend externe Anwendungsfälle. So können Anwender:innen beispielsweise in Apps Punkte sammeln und einsetzen (z. B. Paypack). Ferner ermuntern Online-Anwendungen wie beispielsweise Stack Overflow Entwickler:innen durch einen höheren Einsatz beim Erstellen von Antworten bessere Bewertungen zu bekommen, welche wiederum in für alle Nutzer:innen sichtbare Badges umgewandelt werden.

Grundsätzlich gilt, die Zielsetzung der Anwendung von Gamification-Elementen muss klar sein, um bei der Wahl der Spielelemente bei Anwender:innen das gewünschte Verhalten zu bewirken. Über die Zielsetzung hinaus ist die Zielgruppe selbst ebenso einflussnehmend, welche Spielelemente den gewünschten Effekt am Besten erzeugen. Während sich die einen eher davon motivieren lassen, sich gemeinsam zu einem Kampf gegen ein Monster zu verbünden und die einzusetzenden Waffen durch das Abarbeiten konkreter Aufgaben erspielen, gibt es andere Gruppen, die sich eher mitreißen lassen, wenn sie gemeinsam als Team etwas aufbauen.

Gamification in der Software-Entwicklung

Im Kontext von Software-Entwicklung gibt es bislang nur eingeschränkte Einsatzmöglichkeiten für Gamification, z. B. im Bereich des (automatisierten) Testens. Je mehr Code fehlerfrei durchläuft, desto mehr Punkte bekommt der bzw. die Entwickler:in. In einigen Unternehmen werden solche Highscore-Listen veröffentlicht, so dass zwischen den Mitarbeiter:innen ein Wettbewerb um den höchsten Wert entsteht. Dass dies in einem Scrum Team nur eingeschränkt gewünscht sein kann, liegt auf der Hand: Scrum lebt vom Teamgeist und dem gemeinsamen Ziel. Die Grundlage ist, sich gegenseitig zu unterstützen und keinesfalls Neid und Missgunst zu erzeugen.

Bei einem anderen Anwendungsfall haben wir bei slashwhy Gamification bereits seit mehreren Jahren erfolgreich im Einsatz: Unser Scrum-Onboarding mit Minetest, eine OpenSource Variante von Minecraft, verbindet das Erlernen von Scrum mit spielerischen Elementen und Gaming. Auch LEGO™ Serious Play (LSP) nutzen wir bereits seit vielen Jahren in Workshops zur spielerischen Vermittlung von Methoden oder zur kreativen Lösung komplexer Probleme.

Einsatzmöglichkeiten für Gamification in Scrum-Teams

Wo also setzen wir hier sinnvoll weitere Gamification-Aspekte ein, die einen Mehrwert bringen?

Im einfachsten Fall kann Folgendes funktionieren: Das Team nutzt bereits einen Burndown-/Burnup-Chart, um aufzuzeigen, wie viel Arbeit noch „verbrannt“ werden muss, bis das gesetzte Ziel erreicht ist. Warum das Ganze nicht durch die Darstellung eines Autos ergänzen, welches einen Weg entlangfährt und keine steilen Sprünge (=„an einem Tag wird plötzlich vieles fertig“) überwinden kann, sondern kontinuierliche Steigung benötigt. Hier ist das Team gefordert, sich im Daily darauf zu verständigen, wie das erreicht werden kann und wie die dafür benötigte Unterstützung innerhalb des Teams aussehen sollte.

Einen anderen und sehr viel größeren Ansatz wollten wir hier bei slashwhy testen:

Was passiert, wenn wir um die komplette Arbeit herum einen spielerischen Gestaltungsraum schaffen und diesen durch die verschiedensten Anreize über den kompletten Zeitraum eines Projektes immer größer werden lassen? Durch welche Elemente können wir täglich unsere Stimmung im Team teilen und positiv beeinflussen? Wie kann die Teilnahme an weniger beliebten Meetings attraktiv gestaltet werden und was hat das Ganze mit „Friday for Testing“ zu tun? Ein Praxisbericht aus einem unserer hybriden Entwicklungsteams beantwortet diese und weitere Fragen.

Teil 2: Bau eines virtuellen Dorfes – ein Gamification-Beispiel aus der Praxis

In einem unserer Kundenteams haben wir vor nunmehr knapp zwei Jahren gezielt mit dem Thema Gamification gestartet. Für den Einstieg in die virtuelle Welt haben wir uns zunächst jede:r einen eigenen Avatar ausgesucht. Als Avatare bezeichnet man vorwiegend visuelle Repräsentationen in virtuellen Welten. Die Wahl des Avatars hilft bei der Identifikation und der Immersion, was zu einem erhöhten Engagement führt, da die Spielenden eine starke Verbundenheit zum Avatar entwickeln. Wichtig war hierbei folglich, dass sich jede:r mit dem eigenen Avatar identifiziert. Auf der nachfolgenden Grafik ist unser damaliges Set an Avataren zu sehen, aus denen wir wählen konnten – vom lila Eichhörnchen über den blauen Pinguin bis hin zum orangefarbenen Oktopus.

Zum Start haben wir uns entschieden, gemeinsam ein Dorf zu bauen – mit diesem Ziel haben sich alle Teammitglieder wohlgefühlt. Die virtuellen Dorfbewohner:innen starteten auf der sprichwörtlichen „grünen Wiese“. Diese bot viel Platz und kreativen Freiraum für den Bau eines gemeinsamen Dorfes. 

In jedem Sprint hat das Team die Möglichkeit, ein neues Gebäude zu errichten und dieses in seinem Dorf zu platzieren. Der Baufortschritt basiert auf der Menge an tatsächlich geleisteter Arbeit, die für den jeweiligen Sprint geplant wurde. Das Erreichen des Sprintziels führt demnach zur Fertigstellung des nächsten Gebäudes und zur Verbesserung der Lebensqualität unserer Dorfbewohner:innen. Der Blick auf den Baufortschritt gehört für das Team fest in die Daily-Scrum-Routine mit dem Ziel, Probleme auf der Baustelle frühzeitig zu erkennen und entsprechend entgegenzuwirken. Nach jedem Sprint wird ausgewählt, welches neue Gebäude das Team im kommenden Sprint bauen möchte. Hierfür treffen wir uns im Anschluss an die Retro in einem Mini-Format.

Aufbau- und Fortschrittsmechaniken sind bei Gamification beliebt, da sie das Engagement und die Motivation erhöhen können, wenn sie mit erfolgreich abgeschlossenen Zielen kombiniert werden. In unserem Beispiel steckt sich das Entwicklungsteam diese Ziele selbst. Mit der dadurch erzeugten Identifikation steigt wiederum die Motivation. Es gilt zu beachten, dass ein plötzlicher Wegfall dieser konkreten Ziele zu einem signifikanten Verlust der Motivation führen kann, da die Spieler:innen die Gewohnheit annehmen, immer die besagten Ziele im Spiel erreichen zu wollen.

Und wer sich jetzt fragt, wie so ein Daily mit Gamification aussehen kann und welchen Mehrwert wir daraus ziehen, sollte gespannt weiter lesen.

Während sich die Teammitglieder im Daily-Call eintreffen und die ersten Storys aus dem Alltag austauschen, bekommt jede:r die Gelegenheit, seine aktuelle Stimmung in das „Therm 'o Meter“ einzutragen. Hierbei handelt es sich um ein 2x2 Feld mit passenden Bildern, um die aktuelle Stimmungslage und Produktivität einzufangen. Fühlst du dich gerade sehr produktiv und bestens gelaunt? Dann setze deine Figur gerne zum Vogel. Behindert dich etwas beim Arbeiten und zieht deine Stimmung runter, dann schiebe deinen Avatar eher in die untere linke Ecke. Durch das Verschieben der Avatare wird Raum geschaffen, um über Probleme zu reden, die von allein nicht angesprochen worden wären. Jede:r erkennt mit einem einzigen Blick die Stimmungslage im Team und hat ggf. direkt ein Thema zum Starten. Die Eingangsfrage eines jeden Dailys ist also: „Wie geht's euch denn so?“. 

Uns ist es wichtig, dass ein Beitrag hier immer freiwillig ist. Keine:r muss, aber jede:r darf und fühlt sich auch dazu eingeladen. Es können Arbeitsthemen platziert werden, wie z. B. „meine virtuelle Maschine läuft heute wieder super schneckig“, es darf aber auch privat sein „mein Kind zahnt und ich hab nicht besonders gut geschlafen“. Wir teilen, was wir für den jeweiligen Tag gerne teilen möchten, was die anderen aus dem Team vielleicht wissen sollten. Hierüber erreichen wir eine Nähe und Verbundenheit, die wir im reinen Daily vorher so nicht immer gespürt haben.

Nachdem wir über Stimmung gesprochen haben, werfen wir einen Blick auf unser modifiziertes Burnup-Diagramm. Dieses Diagramm enthält grundlegende Informationen über den aktuellen Status im Sprint, anfallende Todos für den Tag und das Sprintziel. In erster Linie sehen wir hier, wie viele Storys (umgerechnet in Story Points) bisher abgeschlossen wurden und wie viele Storys das Team bisher hätte abschließen sollen (Ideallinie). Auch sind hier Regeltermine festgehalten, so dass das Team die Gelegenheit hat, sich kurz darüber auszutauschen, welche Themen dort besprochen werden sollen. 

Der genaue Beobachter sieht hier das grüne „Friday for Testing“-Siegel: Jeden Freitag hat der Tester die Möglichkeit, nach Unterstützung beim Testen zu fragen, wenn sich abzeichnet, dass er aus besonderen Gründen nicht alle Storys abnehmen kann. Jeder Story Point, der durch das Unterstützen beim Testen „verbrannt“ wird, zahlt auf ein Extrakonto ein und die Dorfbewohner:innen können wiederum entscheiden, wofür sie dieses Guthaben einsetzen wollen. Hierdurch steigt die Motivation der einzelnen Teammitglieder sich beim Testen einzubringen und nicht selten wird darum gestritten, wer testen darf. 

Ebenfalls auf unserem Burnup befindet sich das Sprintziel, welches wir uns in jedem Daily noch mal vor Augen führen und im Hinterkopf behalten, wenn wir später auf unser Sprint-Board schauen.

Und nun wird es kreativ und wir tauchen in unser Dorf ein. Abhängig von den Erfolgen vom letzten Tag können Vorbereitungen abgeschlossen, Materialien besorgt oder ganze Gebäude errichtet werden. Es ist der/dem Moderierenden des Dailys und den einzelnen Teammitgliedern selbst überlassen, welche Auswirkungen für das Dorf und seine Bewohner:innen entstehen. So kann beispielsweise eine Person vorschlagen, dass wir ein kleines Fest feiern könnten, eine andere Person schlägt vor, dass wir lieber das Dach zu Ende bauen sollten, welches ein Loch bekommen hat und eine dritte Person legt vielleicht Wert auf ein Blumenbeet. Durch gemeinsames Abstimmen legen wir direkt fest, was passieren wird und setzen dies um. Gelegentlich entsteht daraus ein kleiner, interner Wettbewerb innerhalb des Teams, damit der eigene Vorschlag „gewinnt“ und dann auch gebaut bzw. umgesetzt wird.

Das Daily wird komplettiert durch einen Blick auf das Sprint-Board, indem wir gemeinsam nochmal auf die aktuellen Tickets im Sprint schauen. Insgesamt dauert unser Daily nicht (viel) länger als ein „Standard-Daily“, es macht uns aber sehr viel mehr Spaß und sorgt bereits morgens für gute Laune, die den Tag über anhält und die Motivation im Team konstant hochhält. Wir „schwören“ uns durch unser Gaming Board und unsere spezielle Art des Dailys quasi täglich neu auf das Tageswerk und das Sprintziel ein.

Natürlich können sich auch unabhängig vom eigentlichen Ziel des Sprints durch Gamification interessante Geschichten entwickeln. Ob sich zwei Figuren für eine Unterhaltung zusammenstellen, sich jemand still und heimlich eine PS5 vom Weihnachtsbaum klaut oder sich einfach nur auf die Wiese legt, um einen Mittagsschlaf zu halten – dies alles sind echte Beispiele aus unserem Team, mit denen wir tagtäglich unsere Kreativität und unseren Spieltrieb ausleben und gleichzeitig ein hohes Maß an gegenseitiger Verbindlichkeit und Gemeinschaft erzeugen. 

Wir können die Steigerung der Motivation und Produktivität im Vergleich zu anderen Teams bisher nicht in Zahlen messen, was wir aber mit Sicherheit sagen können: Wir freuen uns auf unser Daily, auf unser Dorf, auf unsere gemeinsame Arbeit, auf das Erreichen des Sprint-Ziels und auf das Miteinander im Team. Das alleine reicht uns, um damit weiter zu machen.

Ready to play?

Du möchtest dich dazu austauschen, wie du Gamification auch in deinem Scrum-Team etablieren und so die Motivation und den Teamgeist stärken kannst? Oder du suchst einen Entwicklungspartner, bei dem du neben technologisch exzellenter Software immer wieder neue Impulse zum agilen Arbeiten bekommst? Dann freuen wir uns über deine Nachricht!

Über die Autor:innen

  • kevin-tesch

    Über Kevin Tesch

    Kevin hat als Software-Entwickler am Standort Hamburg maßgeblich am Aufbau des Gamification-Boards in seinem Team mitgewirkt. Mit sehr viel Kreativität und Liebe zum Detail hat er sein Team immer wieder mit neuen Welten, Charakteren oder anderen spielerischen Elementen überrascht. 

  • nina-sahling

    Über Nina Sahling

    Nina ist Agile Coach am Standort Hamburg und ist in einem ihrer Teams erstmalig mit dem Thema „Gamification“ in Berührung gekommen. Die Auswirkung auf Motivation und Teamgeist erlebt sie tagtäglich und ist restlos überzeugt. Diese Überzeugung trägt sie auch nach außen und etabliert kleinere Gamification-Boards auch in ihren anderen Teams und steht als Ansprechpartnerin zur Verfügung.

  • robin-schmitz-slashwhy

    Über Robin Schmitz

    Robin ist als People & Project Manager bei slashwhy Schnittstelle zwischen Kunden und Entwicklungsteams. Als Entwickler gestartet, hat Robin die agile Software-Entwicklung unter anderem auch als Scrum Master und Product Owner erlebt. Seine Mission ist das erzeugen eines wirksamen Umfelds, in welchem durch die reibungslose Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten, Projekte zum Erfolg werden.